Warum Abnehmen keine Frage des Charakters ist

Abnehmen ist doch ganz einfach: Du musst einfach nur weniger Kalorien essen, als du verbrauchst, oder? Treib Sport, iss weniger und schon purzeln die Pfunde! Doch was ist, wenn man über Wochen hungert und trotzdem zunimmt? Wie lässt sich das bitteschön erklären? Oder sind dicke Menschen einfach nur faule, unfähige und disziplinlose Fressmaschienen?

Als ich in einer Ernährungsberatung war, sagte die „nette“ Dame zu mir, als ich ihr schilderte, dass ich trotz ihrem Ernährungsplan und ständigem Hunger trotzdem zunehmen würde, ich würde doch lügen. Es könne nicht sein, dass ich trotz der reduzierten Kalorien nicht abnehmen würde. Sie sei sich sicher, ich würde mir heimlich den Ranzen vollschlagen mit Süsskram und Knabberzeugs. Sie könne nicht mit mir arbeiten, wenn ich nicht aufrichtig ihr gegenüber sei.

Toll. Genau das braucht man in dieser Situation. Wenn man sowieso schon total frustriert und verzweifelt ist und man endlich den Mut zusammengekratzt hat, in eine Ernährungsberatung zu gehen und dann wird man als schamlose Lügnerin hingestellt. Wenn diese Frau wüsste, wie sich das anfühlt… Man tritt auf niemanden ein, der schon am Boden liegt.

Bis ich meine Ernährung selbst in die Hand nahm, konnte mir niemand erklären, warum ich trotz ständigem Hunger immer weiter zugenommen habe. Es gab immer nur zwei Teams: Das Team „Ich weiss es nicht“ und das Team „Du lügst doch, das kann gar nicht sein“.

Abnehmen ist keine Frage des Charakters

Als ich mich selbst mit dem Thema Ernährung genauer beschäftigte, entdeckte ich irgendwann, dass es noch ein drittes Team gibt. Aber dazu später mehr. In diesem Artikel möchte ich dir erklären, warum Abnehmen – oder besser gesagt das Nichtabnehmen – nichts mit Charakter zu tun hat und warum du eben nicht ein disziplinloses, unfähiges Stück Speck auf zwei Beinen bist.

Warum hat abnehmen nichts mit dem Charakter zu tun?

Schliesslich heisst es doch immer: Iss weniger und treibe mehr Sport, dann klappt das schon! Doch bei vielen, wie auch bei mir, ist es leider nicht so einfach. Denn einfach nur runterhungern, ist nicht. Ich will nicht sagen, dass es nicht funktioniert – das tut es in der Regel. Kurzfristig. Was danach passiert, ist, dass dein Stoffwechsel komplett runtergefahren ist und dann kommt der Jojo-Effekt, bzw. die Zunahme, obwohl du nur noch ganz wenig isst.

Der Körper ist dann in einem absoluten Hungerzustand und er behält die Reserven so gut er kann, weil es um sein Überleben geht. Sobald du dann einmal etwas mehr isst (wahrscheinlich wenn du eine der vielen Heisshungerattacken hast, weil du so hungerst), landet das Essen sofort auf den Hüften, da der Körper die Reserven vergrössern will. Schliesslich weiss er nicht, wann er wieder einmal genügend zu Essen bekommt.

Runterhungern ist also für die langfristige Gewichtsabnahme in etwa so hilfreich, wie ein Messer in den Rippen.

Was dabei und vor allem danach in unserem Körper genau passiert, beschreibt Julia Tulipan in ihrem Artikel, in dem sie das Minnesota Starvation Experiment genauer unter die Lupe nimmt (klick!).

Es kommt darauf an, WAS wir essen

Wie viel wir essen, sprich die Kalorienbilanz am Tag, ist gar nicht so ausschlaggebend wie uns immer eingetrichtert wurde. Es kommt viel mehr darauf an, WAS wir essen, ob das Essen eine hohe Energiedichte hat und wie unser Körper auf das Essen reagiert. Denn auf Kohlenhydrate reagiert der Körper anders als auf Eiweiss und Fett! Wenn du genaueres wissen willst, warum Kalorienzählen nichts bringt, empfehle ich dir diesen Artikel (klick!).

Hier ein Beispiel dazu:

Angenommen, die Kalorientheorie würde stimmen, dann würden Kinder nur wachsen, wenn sie entsprechend viel essen würden und damit im Kalorienüberschuss sind. Richtig? Falsch! Diese Annahme ist lächerlich – Kinder sind darauf programmiert zu wachsen – und das tun sie auch. Egal, ob sie im Kalorienüberschuss sind oder nicht. Sonst würden sie, wenn sie zum Beispiel im einem Sportverein engagiert sind, gar nicht mehr wachsen, weil sie zu viele Kalorien beim Sport verbrennen.

Ein anderes Beispiel wären die Kriegsgenerationen. Wenn das Kalorienprinzip stimmen würde, hätten ja alle, die als Kinder den Krieg miterlebt haben, klein bleiben müssen, weil sie garantiert nicht genügend Nahrung erhalten haben.

Das macht schlicht und einfach keinen Sinn. Sie sind auf Wachstum programmiert, also wachsen sie.

Und wenn wir erwachsen sind – wie sind wir dann programmiert? Das kommt ganz darauf an, was wir essen.

So sind wir programmiert – im Glucosestoffwechsel

Wenn wir uns ganz normal gemäss den in der Schweiz, in Deutschland und Österreich aktuell geltenden Ernährungsempfehlungen ernähren, besteht der Hauptteil unserer Nahrung aus über der Hälfte aus Kohlenhydraten und zwar in Form von Brot, Reis, Nudeln, Kartoffeln und reinem Zucker. Dazu kommt moderat Eiweiss sowie 5 Portionen Obst und Gemüse mit wenig Fett.

Durch diese Menge an Kohlenhydraten befinden wir uns im sogenannten Glucosestoffwechsel. Denn unser Körper zerkleinert sämtliche Kohlenhydrate (egal in welcher Form sie daherkommen) in ihre einfachste, kleinste Form: in Einfachzucker. Der kommt in Form von Glucose in unseren Blutkreislauf und erhöht unseren Blutzuckerspiegel.

Der Körper schüttet dann das Hormon Insulin aus, um den Blutzucker zu regulieren und das Zuviel an Zucker in unserem Blut rauszuschaffen und in die Muskeln und Zellen unseres Körpers zu transportieren. Für unseren Körper ist ein hoher Blutzucker lebensgefährlich, genau so, wie wenn er einen zu tiefen Blutzucker hat. Daher hat die Regulation dessen oberste Priorität.

Und damit unser Körper nicht auf die Idee kommt, Fett als Energie zu verwenden, während gefährlich viel Zucker in unserem Blut vorhanden ist, schliesst das Insulin die Fettzellen, so dass unser Körper gezwungen ist, zuerst die Glucose als Energielieferanten zu verwenden.

Denn unser Körper kann aus allen drei Makronährstoffen – Kohlenhydraten, Eiweiss und Fett – Energie herstellen. Wobei Eiweiss ein Reservestoff ist, der nur im Notfall angezapft wird. Und wie oben erklärt: Wenn unser Blutzucker erhöht ist, stoppt der Körper über die Insulinausschüttung die Möglichkeit, aus Eiweiss oder Fett Energie herzustellen, weil er unbedingt erst einmal den Zucker in Form von Glucose aus unserem Blut schaffen muss.

Unser Körper kann Glucose nur begrenzt speichern, er lagert Glucose in Form von Glykogen in den Muskeln und in der Leber. Sind diese Vorratslager gefüllt und verbrauchen wir gerade nicht mehr Energie, weil wir im Büro sitzend arbeiten oder auf der Couch lümmeln, wird die überschüssige Glucose in neue Fettzellen umgewandelt.

Daraus lässt sich schliessen, dass wir im Glucosestoffwechsel auf Fetteinlagerung programmiert sind – nicht umsonst wird das Insulin auch Masthormon genannt. Und dabei spielt es keine Rolle, wie viel wir kalorientechnisch essen. Wenn wir nicht sehr viel Sport machen, bei dem wir die überschüssige Glucose sofort verbraten, lagern wir alles als Fett ein.

Das Gemeine am Glucosestoffwechsel ist auch, dass wir nicht nur auf Zunahme programmiert sind – der Insulinkreislauf sorgt auch noch dafür, dass wir ganz automatisch mehr und mehr Kohlenhydrate essen.

Insulinkreislauf

Im Glucosestoffwechsel ist die Wahrscheinlichkeit also enorm gross, dass wir zunehmen – und das selbst dann, wenn wir auf die Kalorienbilanz achten und Sport treiben!

Dann kann es durchaus solche Fälle geben, wie ich es aus eigener Erfahrung erlebt habe: Nämlich Menschen, die ständig Hunger haben, auf die Kalorien achten, Sport treiben und trotzdem zunehmen oder es einfach nicht schaffen, abzunehmen.

So sind wir programmiert – im Fettstoffwechsel

Was ist die Alternative zum Glucosestoffwechsel? Wie bereits erklärt, gibt es ja die drei Energielieferanten, genannt Makronährstoffe. Dazu gehören Kohlenhydrate, Eiweiss und Fett. Da Eiweiss nur als Reserve dient, ist die einzige Alternative, Fett zum Hauptenergielieferanten zu ernennen!

Damit wir aber in den sogenannten Fettstoffwechsel kommen, müssen die Kohlenhydrate aber drastisch reduziert werden. Das heisst: Wir stellen dem Körper nur noch so wenig Kohlenhydrate zur Verfügung, dass er aus Fett Energie herstellen MUSS.

Dafür stellt der Körper aus Fetten und aus Eiweiss Ketonkörper her, die er wunderbar als Energielieferanten nutzen kann. Energietechnisch sind wir damit bestens versorgt.

Doch was bedeutet das für unsere „Programmierung“?

Essen wir Fett, muss unser Körper kein Insulin ausschütten, denn Fett hat keinen Einfluss auf unseren Blutzuckerspiegel. Natürlich essen wir aber nicht ausschliesslich Fett, sondern auch moderat Eiweiss und wenig Kohlenhydrate.

Das bedeutet so in etwa 50g Kohlenhydrate pro Tag, 1g – 1.5g Eiweiss pro Kilogramm Idealgewicht (Körpergrösse in cm – 100 ergibt das „Idealgewicht“ – z.B. 170cm – 100 = 70 Kilo Idealgewicht) – den Rest unseres Tages füllen wir mit Fett.

So kann unser Blutzucker (der noch leicht auf das Eiweiss reagiert) sehr stabil bleiben und der Körper muss nicht dauernd mit Insulin den Blutzucker regulieren. Das heisst, er hat quasi die Hände frei, um anderen Aufgaben nachzugehen. Durch die Abwesenheit von einer riesigen Menge Insulin sind auch die Fettzellen geöffnet, so dass der Körper, wenn sein Stoffwechsel normal funktioniert, überschüssiges Fett abbauen kann.

Im Fettstoffwechsel kann der Körper also wunderbar zu seinem Idealgewicht finden – das bedeutet bei einigen eine Gewichtsabnahme, bei anderen bleibt es stabil, andere wieder nehmen ein paar Kilos zu oder es verändert sich schlicht die Fettverteilung. Aber sofern wir gesund sind und unser Körper normal arbeiten kann, dann reguliert er sich und damit auch das Gewicht ganz von selbst.

Komm zu Team #3!

Du siehst also, eine Abnahme hat nicht immer etwas mit fehlender Disziplin oder mangelnder Charakterstärke zu tun (manchmal schon, aber das ist ein anderes Thema 😉 ). Es kann durchaus sein, dass man sich total abmüht und sehr diszipliniert ist, aber trotzdem nicht die gewünschten Erfolge sieht.

Typische Anzeichen für die falsche Ernährung können sein, dass du ständig müde bist, scheinbar immer hungrig bist, oft Heisshunger auf Süsses hast, zunimmst, obwohl du Kalorien zählst und Sport machst, stark gereizt bist wenn du hungrig bist und du öfter glaubst, dass du jetzt unbedingt etwas essen MUSST.

Wenn du dich darin wiedererkennst, solltest du vielleicht das Team wechseln 😉

In Team 3 machst du dich auf die Suche nach deiner ganz individuellen Ernährung. Du erkennst nämlich, dass es keine Ernährungsform gibt, die für alle gilt. Es gibt Menschen, die ernähren sich vegan und sind total gesund. Es gibt Menschen, die ernähren sich fast nur von Fleisch und denen geht es prima. Es gibt Menschen, die fühlen sich mit einer Rohkosternährung so gut wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Irgendwo dazwischen liegt deine maßgeschneiderte Lösung und es ist in deiner Verantwortung, sie zu finden.

Aber diese Mühe lohnt sich. Wenn du deine Ernährungsweise gefunden hast, bist du endlich satt, du bist voller Energie und Tatendrang, hast keine Verdauungsprobleme mehr und bist leistungsfähiger als je zuvor.

Und: Du schaffst es, endlich abzunehmen, wenn du deinem Körper die Energie und die Bausteine zur Verfügung stellst und ihm unnötigen Stress wegnimmst bzw. so reduzierst, dass er sich um das überschüssige Gewicht kümmern kann.

Romina Scalco

Romina Scalco hat nach unzähligen fehlgeschlagenen Diäten und gesundheitlichen Problemen mit Low Carb die Lösung für sich gefunden. Seit 2013 schreibt die Bloggerin und Buchautorin auf ihrem Low Carb Blog über eine Ernährung, die ganz nach dem Bauchgefühl geht, was Abnehmen mit Glücklichsein zu tun hat, wie du glücklicher sein und wie du gesunde Gewohnheiten in deinen Alltag implementieren kannst. Ihr Motto: Es gibt nicht DIE Ernährungsform für alle. Finde Deinen persönlichen Weg.

6 Gedanken zu „Warum Abnehmen keine Frage des Charakters ist“

  1. Ein schöner Artikel. Es ist tatsächlich so, dass nicht eine einzige Ernährungsweise für alle Menschen passt. Diejenigen von uns, deren Bauchspeicheldrüse mit einen überschießenden Insulinantwort auf Zucker und Zucker-Fettgemische antwortet, entwickeln sehr schnell Hyperinsulinämie mit Inulinresistenz, was zu Fettleibigkeit führt. Seit 1976 gibt es eine Testmethode, um zu erkennen, wie der eigene Stoffwechsel auf Glukose reagiert, den oralen Glukose-Toleranztest mit Insulinbestimmung. Leider kennen ihn die meisten Ärzte nicht und raten ihren Patienten sogar davon ab. Damit kann man sehr genau feststellen, ob man einen gestörten Glukose-Stoffwechsel hat oder nicht.

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    • Hallo Frank!

      Genau, allerdings muss bei diesem Test aufgepasst werden, wenn man sich bereits Low Carb ernährt. Die darauffolgende entsprechend heftige Insulinantwort würde dann das Testergebnis verfälschen, weil man schon länger auf Kohlenhydrate verzichtet bzw. diese stark reduziert. Daher muss man ein paar Tage vorher die Kohlenhydrdatzufuhr etwas erhöhen, wenn man plant, diesen Test zu machen 🙂

      Liebe Grüsse,
      Romina

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  2. Ein so klasse Artikel, der die wichtigsten Facts zusammenfasst. Erklärt, wieso viele Menschen einfach nur noch gefrustet sind.

    Hut ab, sehr toll geschrieben!!!

    Liebe Grüße
    Antonia

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