Ich bin übergewichtig – und nun? Ein Interview mit mir selbst

Ein ganz lieber Freund von mir und gleichzeitig auch Leidensgenosse, Andi, hat vor kurzem einen sehr wichtigen und für mich einen unvorstellbar mutigen Schritt gemacht und sich einem saftigen Interview gestellt, das im SRF Virus Radio veröffentlicht wurde.

Thema war sein Übergewicht und die Sendung beschäftigt sich ausschliesslich mit Themen, über die man normalerweise nicht spricht und der Moderator stellt Fragen, die man sich normalerweise nur hinter vorgehaltener Hand oder hinter geschlossenen Türen stellt. Das Interview hat mich einfach vom Hocker gehauen. Sich solch intimen und zum Teil heftigen Fragen zu stellen – ich wüsste nicht, ob ich das vor laufender Kamera bzw. im Radio machen könnte. Doch Andi hat es getan. Und das finde ich einfach nur unfassbar mutig.

Zum Interview von Andi (von andiverliert.ch) geht es übrigens hier lang (klick!).

Sein Mut hat mich inspiriert, mir ebenfalls über die gestellten Fragen Gedanken zu machen und ich denke, es ist an der Zeit, auch hier wieder einmal im Detail über die unschönen Dinge zu sprechen bzw. zu schreiben, die mit Übergewicht einherkommen.

Übergewicht sollte weder ein Tabuthema sein, noch sollte man sich dafür schämen. Doch das ist im Alltag gar nicht so einfach…

Daher möchte ich hier einen Teil der Fragen, die Andi gestellt bekommen hat, aus meiner Sicht ebenfalls beantworten.

Es folgt für dich von mir ein Interview mit mir selbst zum Thema Übergewicht. Viel Spass!

Ein Interview mit mir selbst

Wann hattest du das erste Mal das Gefühl, dass du dick bist?

Dick gefühlt habe ich mich schon in der Schule, vor allem in der Sek. Da hat es mit der Gewichtszunahme bereits langsam angefangen. Und als Teenie vergleicht man sich halt schnell und gern mit den anderen Mädels in der Klasse. Beim Sport in der Umkleide, im Freibad im Sommer… Da fiel mir halt schon auf, dass ich nicht ganz so schlank war wie die anderen. Es war auch so, dass ich bei den Kinderkleidergrössen bald einmal nicht mehr den Altersempfehlungen entsprach und ich erinnere mich noch, dass meine Mutter gesagt hat: „Jetzt müssen wir dann bald für dich bei den Frauen einkaufen.“ Wobei ich aus heutiger Sicht mich damals noch lange nicht als dick bezeichnen würde.

Wie hat es essenstechnisch bei deinem Höhepunkt ausgesehen?

In meiner schlimmsten Phase? Da drehten sich fast alle meine Gedanken nur ums Essen. Das Problem war allerdings das Abendessen, weil ich da unter der Woche alleine war und niemand da war, der hätte sehen können, wie ich esse. Mein Freund war dazumals unter der Woche in der Innerschweiz und kam nur am Wochenende nach Hause. Da war die Ernährung dann kein Problem, sondern ausschliesslich dann, wenn ich alleine mit mir selbst war.

Da kam es durchaus vor, dass ich mir vor dem Abendessen einen kleinen Snack gönnte, weil ich solchen Hunger hatte. Oder einfach auch als Trost oder als Belohnung, weil ich einen harten Tag hinter mich gebracht hatte. Eine Ausrede fand ich immer. Zum Abendessen hatte ich immer einen riesigen Hunger und weil ich Kohlenhydrate nicht gut verwerte, diese aber Hauptbestandteil meiner sämtlichen Mahlzeiten waren, hatte ich kurz danach schon wieder Hunger und brauchte dann was zu knabbern. Oder die Reste, die ich eigentlich am nächsten Tag zum Mittagessen mitnehmen wollte, wurden dann trotzdem noch gegessen.

Es war eine Mischung zwischen emotionalem Essen, Binge Eating und Insulinhunger – im Nachhinein würde ich sagen, hatte ich eine schwere Essstörung.

Was war der absolute Höhepunkt, wo du gesagt hast, so kann es nicht mehr weitergehen?

Da kommen mir spontan drei Situationen in den Sinn: Einerseits, als ich weinend über dem Klo hing und versucht habe, meine letzte Malzeit wieder hochzuwürgen. Da habe ich mich so sehr dafür geschämt, dass ich mir geschworen habe, dass die Abnahme auch anders funktionieren muss. Eine andere Situation war, als ich die Fotos von meinem Studienabschluss gesehen habe. Ich weiss noch, dass ich mich wunderhübsch gefühlt habe, doch auf den Fotos habe ich mich selbst nicht wiedererkannt. Die Frau, die ich darauf gesehen habe, war ich einfach nicht. Am schwersten war ich mit 108 Kilogramm.

Doch der tatsächliche Klick-Moment, der mir den Antrieb zur Veränderung gab, war der, als ich mit meinem Freund gestritten habe, weil er mir nicht mehr sagen konnte, dass er mich schön findet. Das war ein Schlag, der sass. Heute kann ich aber sagen, dass ich froh bin für diesen Schlag, denn er hat mir unwahrscheinlich viel Kraft gegeben, um mein Leben um 180 Grad zu drehen.

Merkt man nicht vorher schon, dass man dick ist? Hast du realisiert, dass du deinem Körper etwas schlechtes antust?

Doch, natürlich! Aber man redet sich das immer schön. Ich meine, es gab durchaus Tage, an denen ich mich hübsch fand – wie zum Beispiel an meiner Abschlussfeier vom Studium. Und vor meinem Höchstgewicht gab es zahlreiche Abnehmversuche – ich habe oft Sport getrieben und Diäten ausprobiert, aber immer wieder aufgehört und den Jojo kassiert, bis ich dann auf meinem Höchstgewicht war.

Vor dem Klickmoment und während dem Teilzeitstudium hatte ich aber weder körperlich noch seelisch die Kraft, mich um mich und meine Essstörung zu kümmern.

Waren die Diäten frustrierende Phasen für dich?

Absolut. Man hungert, man friert, man brät Fleisch in Mineralwasser, man zählt Punkte, nur weil man um jeden Preis abnehmen möchte. Das ist einfach nicht gesund. Am schlimmsten aber war, dass ich irgendwie alles ausprobiert hatte, aber doch nichts geholfen hat. Selbst als ich mit 1500 – 1600 Kalorien am Tag über Monate gehungert habe, hat mein damaliger Ernährungsberater mir nicht geglaubt und gesagt, dass es nicht sein kann, dass ich dennoch an Gewicht zunehme. Ich fühlte mich jedes Mal wie ein riesiger Versager – was schlussendlich wieder in Fressattacken endete und den ganzen Kreislauf von Neuem startete.

Übergewichtige und dicke Menschen werden oft heruntergemacht – warum denkst du, ist das so?

Dicken Menschen sieht man an, dass sie ein Problem haben (zumindest die meisten) – sonst wären sie ja nicht dick. Das bietet sofort Angriffsfläche, die leider manche Menschen für sich nutzen, um sich selbst besser zu fühlen. Ich denke aber, dass viele das gar nicht wissen und schlicht kein Verständnis aufbringen können, dass jemand stark zunimmt. Die „Idealbilder“, die in unserer Gesellschaft zur Zeit „in“ sind, tragen da auch nicht gerade positiv dazu bei, dass sich mollige oder übergewichtige Menschen in der Gesellschaft frei und unbehelligt bewegen können.

Hast du persönlich schon solche Beleidigungen erlebt?

Ja, schon. Im Bus hat mich mal ein Betrunkener angepöbelt, ich fette Sau sässe auf seinem Platz. Auch Sprüche wie „die Fette da“ fielen. Am schlimmsten sind bzw. waren aber die abschätzigen Blicke. Eine Freundin von mir wurde sogar mal auf offener Strasse als Walross bezeichnet. Das ist einfach nur völlig daneben.

Hat dich das verletzt?

Ja, absolut. Ich würde lügen, wenn ich nein sagen würde. Mit der Zeit fängt man sich schneller, aber verletzen tut es jedes Mal. Wobei die letzte Beleidigung zum Glück schon eine Weile her ist.

Wo machen sich die Dickenfeindlichen besonders bemerkbar?

Im Ausgang, da sind die Hemmschwellen durch den Alkohol natürlich tief. Aber auch im Fitnesscenter oder im Freibad / Schwimmbad begegnet man Menschen, die damit nicht klarkommen und, sagen wir mal, unangemessen reagieren.

Schämst du dich, wenn du in ein Fitnesscenter gehst?

Nicht mehr. Früher ging ich in ein Fitnesscenter, in dem es mehr um sehen und gesehen werden zu gehen schien. Die Frauen waren total aufgemotzt und geschminkt und die Männer waren tendenziell Macho-Typen, die zum Anbaggern da waren. Da habe ich mich überhaupt nicht wohlgefühlt und habe auch sehr bald aufgehört, da hinzugehen.

Später ging ich in ein Fitness, das speziell nur für Frauen war, aber auch dort habe ich mich nicht wirklich wohlgefühlt. Bis vor kurzem war ich in einem Gym, da habe ich mich sehr wohlgefühlt. Das lag aber vermutlich daran, dass ich um 6 Uhr morgens bereits am Trainieren war und alle anderen, die da waren, einfach ihr Ding durchziehen wollen und kein Interesse haben, andere grossartig zu bewerten, da alle um diese Zeit das gleiche Ziel hatten.

Ist es denn umgekehrt, dass du durch das Fitness bzw. im Fitnesscenter motiviert wirst?

Ja, schon ein bisschen. Es liegt aber wahrscheinlich eher daran, dass ich stolz auf mich selber bin, wenn ich so früh morgens trainiere und nicht, dass ich im Fitness bin. Aber ich fühle mich jedes Mal toll nach dem Training.

Eines motiviert mich aber schon: Wenn man nämlich als Frau in den Freihantelbereich geht und zuerst einmal von allen muskulösen Männern angeschaut wird à la: Was will die denn hier? Die Ausdauergeräte stehen da drüben! Aber irgendwann, nach ein paar Wochen nicken sie dir dann anerkennend zu wenn du auftauchst und diese Akzeptanz, dass man irgendwie dazugehört, motiviert schon.

Ist es dir peinlich, dich im Schwimmbad oder im Freibad zu zeigen?

Peinlich nicht, aber ich fühle mich im Schwimmoutfit doch noch ziemlich unwohl. Das ist eine Baustelle, an der ich noch stark arbeiten muss und will. Mein Ziel ist es, dass ich mich im Badeanzug wirklich wohl fühle. Natürlich ist das auch von meiner Tagesform abhängig, wie gut ich drauf bin. Aber ich zeige mich noch recht ungern im Schwimmbad.

Ich bin mittlerweile aber soweit, dass ich im Sommer auch in Röcken und Kleidern herumlaufe und mir erlaube, mich wirklich sommerlich anzuziehen. Das war lange Zeit für mich undenkbar.

Gibt es Dinge oder Sachen, die du wegen deinem Gewicht nicht machen kannst?

Eigentlich nicht, nein. Es wäre aber schon schön, schlanker zu sein, weil dann das Körpergefühl einfach anders ist und ich mich freier und leichter (wortwörtlich!) bewegen kann. Ich will einfach nicht, das mein Körper mich in irgendeiner Weise einschränkt, im Gegenteil. Er soll mich bei all meinen Zielen und Träumen unterstützen.

Wie schwer bist du? Darf man das überhaupt fragen?

Aktuell bin ich wieder auf 97 Kilo oben. Das ärgert mich zwar, aber ich arbeite daran.

Fragen darf man alles. Aber ich fände es jetzt komisch, wenn eine fremde Person mich das fragt. Da ich mich aber nicht über mein Gewicht definiere, ist es mir nicht so wichtig, wenn jemand weiss, wie schwer ich bin. Ausser es ist ein Arzt, der mich dann belehren will oder so. Dagegen bin ich allergisch 😉

Was isst du so den ganzen Tag?

Ein typischer Tag schaut momentan bei mir so aus: Ich starte mit einem Bulletproof Kaffee oder einem Rührei-Spinat-Käse-Frühstück, zu Mittag gibt es einen gemischten Salat mit Aufschnitt und selbstgemachtem Knäckebrot und abends koche ich meist Fleisch und Gemüse. Am Wochenende gibt es dann auch gerne mal nur zwei Mahlzeiten und zum Frühstück / Mittagessen dann Rührei mit Räucherlachs.

Ich probiere immer wieder mal was aus, daher ändert sich das ab und an, aber im Moment ist das ziemlich treffend.

Trinkst du Süssgetränke?

Nein. Ich trinke hauptsächlich stilles Wasser und Kaffee oder Tee. Im Ausgang oder auswärts gibt es mal Wasser mit Kohlensäure, wenn ich Lust darauf habe, aber Süssgetränke gibt es bei mir nicht. Auch keine Light- oder Zero-Getränke. Ich habe aber kürzlich Kombucha probiert und muss sagen, ich bin begeistert. Sobald ich etwas Zeit finde, probiere ich das bei mir Zuhause aus und dann gibt es bestimmt ab und zu einen Kombucha 🙂

Hast du ab und zu Fressattacken?

Fressattacken, so wie ich sie früher hatte, habe ich jetzt zum Glück keine mehr. Ich merke aber, wenn ich zu wenig Fett gegessen habe oder zum Beispiel abends Salat als Beilage hatte, dass ich nicht so „zufrieden“ bin und dann noch ein wenig herumtigere. Was mir aber manchmal passiert, ist, wenn ich emotional schlecht drauf bin, dass ich dann schnell in alte Muster zurückfalle. Wenn mir dann jemand ein Stück Kuchen vor die Nase halten würde, wüsste ich nicht, ob ich widerstehen könnte. Das Gleiche gilt dann, wenn ich krank bin oder Schmerzen habe. Da hilft es, vorbereitet zu sein.

Glaubst du daran, dass du dein Wunschgewicht irgendwann einmal erreichst?

Ja, ich glaube fest daran, dass ich es irgendwann schaffe, nochmals so ein Stück abzunehmen, wie ich es bereits geschafft habe. Schön wäre es, wenn ich auf 70 – 75 Kilo kommen würde, allerdings zählt für mich vielmehr das Körpergefühl und dass ich mich in meiner Haut wohlfühle.

Wie sieht dein persönliches Idealbild aus? Also findest du festere oder schlankere Menschen schöner?

Das ist für mich eine Frage der Ausstrahlung. Es kann ein Mensch daherkommen, mit perfektem, gestähltem Körper, aber die Ausstrahlung fehlt. Da finde ich dann jemand mit deutlich zu vielen Kilos weitaus schöner, der einfach eine gewisse Ausstrahlung hat. Ich finde es aber schön, wenn Frauen Rundungen haben und Männer einen sexy Po. Vor einer Weile habe ich eine Frau auf der Strasse gesehen, die einen wahnsinns Körper hatte – alles total straff, durchtrainiert, aber nicht zu muskulös und trotzdem schöne Rundungen – ich musste ihr richtig lange bewundernd nachsehen.

Da ich aber einen wunderbaren Partner habe, bin ich eher auf der Suche nach tollen, inspirierenden Menschen und potenziellen Freunden – da ist die Figur komplett nebensächlich 🙂

Wie schaut es mit der Sexualität aus? Klappt da alles? Schämst du dich beim Ausziehen oder wie ist das so?

Jetzt im Moment ist das alles sehr entspannt für mich. Wobei ich sagen muss, dass ich seit einigen Jahren in einer festen Beziehung bin und wir ein eingespieltes Team sind. Von daher klappt alles und ich schäme mich überhaupt nicht, wenn ich mich vor ihm ausziehe. Im Gegenteil: Ich freue mich, wenn ich merke, dass mein Bauch flacher wird. Dann fragen wir uns gegenseitig, ob der andere den Fortschritt auch sehen kann.

Es gab aber mal eine Zeit, als ich mein Höchstgewicht hatte, wo mein Freund mich fast nicht mehr anfassen durfte, weil ich mich selbst so abstossend fand. Das war ganz schlimm und es hat meistens Streit gegeben, wenn er mich im falschen Moment an der falschen Stelle berührt hat. Das war eine ziemliche Belastung für unsere Beziehung.

Wie sehr belastet dich dein Aussehen?

Das ist tagesformabhängig. Also ich habe gelernt, mich so zu aktzeptieren, wie ich jetzt bin. Meistens finde ich mich tip top so, wie ich bin. Trotzdem erschrecke ich noch manchmal, wenn ich mich in einem Spiegel oder auf einem Foto sehe, weil ich mich selbst in meinem inneren Bild viel schlanker wahrnehme. Also so, wie ich nach aussen hin aussehe, so fühle ich mich im Inneren nicht. Im Grossen und Ganzen finde ich mich aber sehr hübsch. Was mich am meisten ärgert, sind zwei Dinge. Erstens: Ich kann die Art Kleider, die ich anziehen will, zum Teil (noch) nicht anziehen. Andererseits ärgert es mich, dass ich, obwohl ich mich so gut ernähre und Sport treibe, auf der Waage momentan keinen Fortschritt sehe. Das nagt dann schon manchmal an mir.

Früher habe ich mich aber regelrecht gehasst und verabscheut. Ich mochte in keinen Spiegel schauen und wollte kein Foto von mir sehen. Das war ganz, ganz schlimm.

Hast du aufgrund deines Gewichts gesundheitliche Probleme?

Nein. Im Gegenteil: Seit ich meine Ernährung umgestellt habe bin ich so gesund wie noch nie. Meine Blutwerte sind top und auch sonst bin ich viel seltener krank. Einzig die Endometriose wird durch das Übergewicht negativ beeinflusst, da das Fettgewebe auf den Hormonhaushalt einwirkt. Inwiefern sich aber meine Beschwerden dadurch verändern, kann ich nicht einschätzen.

Fällt es dir nach dem Sport schwer, dich in den Umkleiden oder in der Dusche zu zeigen?

Nicht wirklich, nein. Das kommt einerseits daher, dass ich als Jugendliche über Jahre Volleyball gespielt habe und dass es dort normal war, anschliessend in den Gemeinschaftsduschen zu duschen. Andererseits finde ich, dass ich mich überhaupt nicht schämen muss, besonders nach einer Sporteinheit nicht. Weil im Fitness haben wir ja alle gemeinsam, dass wir an unserem Körper bzw. an unserer Fitness arbeiten möchten.

Was würdest du jemandem raten, der dick ist und extrem Mühe damit hat, sich zu zeigen bzw. sich so anzunehmen, wie er / sie ist?

Sei einfach du selbst! Es nützt absolut nichts, sich selbst zu kasteien und zu bestrafen, dafür, dass man dick ist. Sich selbst akzeptieren zu können, ist sehr schwer, aber es führt kein Weg daran vorbei, wenn man mit sich selbst und seinem Körper glücklich sein will. Ich meine, selbst wenn man es nie schaffen würde, abzunehmen: Was ist das für ein Leben, wenn man sich selbst hasst? Wie ich bereits oben gesagt habe: Menschen, die einfach sie selbst sind und mit sich selbst im Reinen, haben eine wunderschöne Ausstrahlung und die macht wiederum ganz viel wett. Das hat ganz viel mit Selbstwertgefühl und Selbstliebe zu tun, daher kann ich jedem nur raten, sich damit auseinander zu setzen, auch wenn es abgedroschen klingt.

Hängt dein Selbsthass mit deinem Übergewicht zusammen?

Tja, das ist in etwa die Frage wie mit dem Huhn und dem Ei. Was war vorher da? Das zunehmende Gewicht oder der Selbsthass? Ich glaube, mit zunehmendem Gewicht nahm auch der Selbsthass zu, weil ich nicht verstand, dass ich das nicht handeln konnte. Ich hasste mich für mein Versagen und ich hasste, wie ich mich damit fühlte, ich hasste aber vor allem, wie ich aussah. Dieser Selbsthass ist noch immer in mir drin, er ist immer da. Aber wo früher der Selbsthass in mir eine laute Stimme mit Megafon war, so ist er heute meist still und wenn, dann nur noch ein Flüstern.

Was denkst du, wer hat dein Idealbild am meisten geprägt, bzw. den Druck erschafft, dass du abnehmen musst?

Beim Idealbild bin ich mir nicht sicher, was die Gesellschaft für einen Einfluss hatte. Ich kann mich aber noch erinnern, dass, als ich ein Teenie war, meine Mutter mit mir diverse Diäten ausprobiert hat. Für sie bzw. von ihr aus war das ein Akt der Liebe, denn sie wollte mich unterstützen und mir bei meinem Leid helfen – und dafür bin ich sehr dankbar. Ich für mich habe aber irgendwo in der Tiefe meines Unterbewusstseins abgespeichert, dass ich offenbar nicht okay war, so wie ich war. Was den Druck angeht: Ich glaube, ich selbst. Seit ich stark an mir selbst arbeite weiss ich, dass der Glaubenssatz „Ich bin nicht gut genug“ sehr stark in mir verankert ist und mich entsprechend geprägt hat. Vor allem, wenn man sich selbst als schlanke Person kennt, will man unbedingt dahin zurück. Ich bin ein sehr leistungsorientierter Mensch und setze die Messlatte bei mir selbst sehr hoch. Entsprechend schwer fällt es mir, Fortschritte auszumachen und sie zu feiern. Ich war und bin immer sehr streng mit mir selbst und daran arbeite ich.

Zwischendurch setze ich mich noch immer gehörig unter Druck, aber ich habe gelernt, mir meistens bessere, realistischere Ziele zu setzen. Das hilft.

Was war der Auslöser, dass du deinen Blog gestartet hast?

Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Ich weiss nur, dass ich den Blog für mich gestartet habe, zuerst unter einem Pseudonym, um meine Erfahrungen und mein neu erworbenes Wissen festzuhalten. Das kam aber auf jeden Fall nach der Umstellung auf Low Carb, nachdem ich gemerkt hatte, wie gut mir diese Ernährungsform tut und dass ich damit tatsächlich abnehmen kann.

Was trainierst du momentan?

Im Moment mache ich eine Kombination aus Kraft und Ausdauer (alles von Zuhause aus!) nach einem speziellen Trainingsplan von Jeff Cavaliere, das speziell für Frauen aufgesetzt wurde. Da trainiere ich 5 mal pro Woche jeweils morgens, bevor ich zur Arbeit gehe. Das war am Anfang ziemlich hart, aber ich habe gemerkt, dass das für mich viel besser funktioniert und ich das Training viel eher durchziehen kann als abends.

Mehr über mein Trainingsplan: AthleanXX

Ist es nicht frustrierend, wenn du dich so gut auf deine Ernährung konzentrierst und gleichzeitig Sport treibst, dass du dennoch (zumindest momentan) nicht abnimmst?

Ja, total. Also manchmal verliere ich schon den Mut und denke, ich muss mich jetzt einfach damit abfinden. Wobei der Sport ja nicht wirklich stark zum Abnehmen beiträgt. Ich mache Sport, weil er mir psychisch und physisch einfach gut tut und ich mich wohler fühle. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass körperlich etwas nicht in Ordnung ist, das zeigt sich nicht nur darin, dass ich nicht mehr abnehme, sondern auch darin, dass ich sehr schnell sehr stark erschöpft bin. Da mache ich mich jetzt an die Ursachenforschung.

Ich kann nämlich abnehmen, ich habe auch schon ordentlich abgenommen. Ich weiss nur nicht, welcher Faktor sich verändert hat, bzw. an welchem Rädchen ich noch schrauben muss, um mein endgültiges Ziel erreichen zu können.

Hast du dir schon mal überlegt, ob du dir Fett absaugen lassen möchtest?

Ganz ehrlich? Ja, der Gedanke ist mir schon ein paar Mal gekommen. Aber ich möchte es aus eigener Kraft schaffen. Denn wenn ich das nicht schaffe und den einfachen Weg wähle, könnte es sein, dass das Gewicht einfach wiederkommt und dann bin ich wieder am gleichen Punkt. Ich möchte fit und gesund sein und dieses Ziel erreiche ich mit einer Fettabsaugun nicht.

Ausserdem hatte ich schon so viele Operationen, dass ich mittlerweile weiss, was für eine Belastung das für den Körper ist. Ich bin einfach überzeugt, dass es anders gehen muss.

Hast du die Motivation, den Willen, den es braucht, um so diszipliniert zu essen, um es tatsächlich zu schaffen?

Ja, absolut. Das Schöne ist, dass je sauberer ich mich ernähre, desto schneller spüre ich, wenn mir etwas nicht gut tut. So kann ich gezielt Lebensmittel meiden. Natürlich schränkt mich das insofern ein, dass ich nicht mehr gerne auswärts essen gehe, weil irgendwo immer Zusatzstoffe oder Mehl in der Sauce enthalten sind, aber ich habe es ja bereits geschafft, einige Kilos loszuwerden. Jetzt geht es darum, mir meine Gesundheit so gut es irgendwie möglich ist, zurückzuholen.

Und das disziplinierte Essen klappt besonders gut im Moment, weil ich mit meinem Freund eine Wette am Laufen habe. Wer es bis Ostern schafft, ohne eine Ausnahme gut zu essen, bekommt vom anderen etwas geschenkt. Bis jetzt läuft es 🙂

Hilft dir dein Gewicht in irgendeiner Form?

Ich bin durchaus überzeugt davon, dass ich mein Gewicht als Schutzpanzer angelegt habe. Jetzt muss ich nur noch herausfinden, wie ich meinem Unterbewusstsein klar mache, dass ich den Schutzpanzer nicht mehr brauche. Aber ich glaube, mittlerweile hat der Panzer seine Funktion verloren. Das braucht viel Arbeit an sich selbst, um solche tiefsitzenden Verletzungen und Überzeugungen aufzuarbeiten und zu klären.

Versteckst du irgendetwas hinter deinem Gewicht?

Früher habe ich ganz sicher mein wahres Ich versteckt, aber ich weiss nicht, ob ich das mittels meinem Gewicht getan habe. Inzwischen bin ich viel authentischer, mehr ich selbst, mehr bei mir. Daher denke ich, dass ich jetzt nichts mehr verstecke.

Gibt es etwas, das du tun kannst, um den Frust, den du hast, zu vermeiden?

Ich musste lernen, die Erwartungen an mich selbst und den Druck herunterzuschrauben. Ich bin keine Maschine und offensichtlich funktioniert mein Körper und mein Stoffwechsel nicht optimal, sonst hätte ich mein Ziel schon lange erreicht. Wichtig ist, dass ich die Erwartungen anpasse und meinen Fokus auf meine Gesundheit richte, nicht auf die Zahl auf der Waage. Und meine Ziele habe ich auch angepasst, in dem ich mir eher Fitness- oder Wohlfühlziele setze, wenn überhaupt. Das hilft mir sehr, ist aber natürlich kein Garant, dass ich nie wieder frustriert bin.

Wie kannst du dich anders belohnen als mittels Essen?

Mit positivem Denken, Selbstliebe, mit Sport, Kuscheleinheiten mit meinem Schatz und meinem Kater Clooney, neue Kleider kaufen, einem schönen entspannenden Bad, einer Gesichts- oder Haarkur… Da gibt es mittlerweile vieles 🙂

Was sind deine Ziele, deine Träume? Wo willst du hin?

Ich will 100% meiner Leistungsfähigkeit erreichen – mental wie körperlich. Ich will irgendwann einmal einen 10-Km-Lauf absolvieren können und ich möchte mich in einem Bikini wohlfühlen. Ein Gewichtsziel ist ungefähr 75 Kilogramm – aber wenn das andere gegeben ist, ist das wirklich nur Nebensache.

Und dann möchte ich natürlich anderen Menschen dabei helfen, ihre Ziele und ihre Träume zu erreichen. Ich weiss ganz genau, wovon sie sprechen, wenn sie unglücklich mit sich und ihrem Körper sind, wie es ist, sich nicht wohlzufühlen. Da bin ich froh, wenn ich helfen kann. Es macht mich richtig glücklich, wenn ich sehe, dass sich da bei meinem Gegenüber was tut und sie plötzlich liebevoll oder sogar stolz über sich selber sprechen oder freudige Nachrichten kommen mit „Ich habe jetzt schon 6 Kilos abgenommen!“.

 


Ich freue mich über dein Feedback zu diesem Beitrag und möchte zum Schluss einfach nur sagen: Jeder Mensch, egal ob dick oder dünn, hübsch oder nicht so hübsch, mit Falten oder ohne, mit Dehnungsstreifen oder mit Cellulite: Du bist völlig okay so wie du bist und auf deine ganz eigene Weise wunderschön. Und wenn wir es schaffen, wir selbst zu sein und uns so anzunehmen, wie wir nun mal sind, dann können wir unsere Schönheit nach aussen tragen.

Ich hoffe, dir hat dieses Interview gefallen. Falls dir eine Frage zu diesem Thema auf der Seele brennt, die ich hier jetzt noch nicht beantwortet habe, dann hinterlasse mir deine Frage doch einfach als Kommentar. Oder vielleicht möchtest du, so wie ich, Solidarität gegenüber meinem Freund Andi zeigen und die Fragen für dich selbst ebenfalls beantworten. Das muss ja nicht zwingend öffentlich sein 🙂

Wenn du Andi und sein Projekt weiterverfolgen willst, findest du es übrigens hier (klick!).

Romina Scalco

Romina Scalco hat nach unzähligen fehlgeschlagenen Diäten und gesundheitlichen Problemen mit Low Carb die Lösung für sich gefunden. Seit 2013 schreibt die Bloggerin und Buchautorin auf ihrem Low Carb Blog über eine Ernährung, die ganz nach dem Bauchgefühl geht, was Abnehmen mit Glücklichsein zu tun hat, wie du glücklicher sein und wie du gesunde Gewohnheiten in deinen Alltag implementieren kannst. Ihr Motto: Es gibt nicht DIE Ernährungsform für alle. Finde Deinen persönlichen Weg.

8 Gedanken zu „Ich bin übergewichtig – und nun? Ein Interview mit mir selbst“

  1. Meine Frau war schon immer etwas übergewichtig. Sie nahm ihren Körper an und hatte keine Komplexe, wollte aber für ihre Gesundheit abnehmen. Es war der Sport, der ihr sehr geholfen hat.

    Antworten
  2. Liebe Romina,ich habe vor 3Wochen begonnen meine Ernährung auf Low Carb umzustellen.
    Es geht mir jetzt schon viel besser als die Zeit davor,ich will unbedingt dabei bleiben.
    In deinem Interview habe ich vieles entdeckt,das ich auch ähnlich erlebt habe und auch sehr ähnlich fühle.Ich finde das großartig wie ehrlich und klar du darüber sprichst.
    Ich bin schon einige Jahre älter als du,aber ich kann dich so gut verstehen.
    Ich wünsche dir,alles Gute und ich werde deinen Blog weiterhin verfolgen.
    Liebe Grüße,Edith.

    Antworten
    • Liebe Edith,

      Das ist grossartig, dass du trotz Zweifeln 3 Wochen der Umstellung durchgezogen hast. Ich denke, das Wohlbefinden und die Lebensenergie, die du dadurch gewonnen hast, sind schon eine riesige Belohnung. Sei stolz auf dich, dass du es angegangen bist! 🙂 Und wenn dich trotzdem mal die Lust auf Kuchen plagt, wirst du ja in der Low Carb Welt absolut fündig. Das ist ja das Schöne – eigentlich müssen wir auf nichts verzichten.

      Ich danke dir vielmals für deine lieben Worte und wünsche dir weiterhin viel Kraft und vor allem Spass an Low Carb.

      Zieh dein Ding durch und sei einfach glücklich und du selbst.

      Alles, alles Liebe,
      Romina

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  3. Ich bin durch Betty auf deinen Blog gestoßen. So ehrliche und tiefe Worte, sie haben mich sehr berührt. Ich finde im Moment keine passenden Worte weil du das aussprichst was in mir vorgeht. Danke Liebe Grüße Eve

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  4. Liebe Romina

    so ein berührender, ehrlicher und grosser Beitrag mit einer wundervollen Botschaft, der zeigt wie schön du bist – nicht in Hinblick deiner Kleidergrösse, sondern in Hinblick deiner „Herzgrösse“. Ich weiss gar nicht genau, mit welchen Worten ich diesen Artikel beschreiben soll. Aber unterm Strich will ich dir wohl nur das eine sagen: Hut ab, bleib stark und ich lass dir ganz viel Liebe da <3

    Saftige Umarmung,
    deine Mona

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